Seite 30 / Samstag,
17. Juli 1993, Nr. 163 Kunstmarkt
Die "Vorstellungsbilder"
von Rudolf Bonvie
bei Kicken in Köln
Der Bilderflut
begegnet Rudolf Bonvie mit Reizentzug.
Auf seinen vier extrem querformatigen Fotografien in der Kölner Galerie
Kicken ist wenig zu erkennen.
Ein, zwei und drei Metallstäbe immerhin, die glatt und glänzend
über porigem, faserigem, genarbtem Untergrund liegen, Stoff vielleicht.
Oder Haut ? Die Metallstange durchbohrt sie.
Eine Wölbung überspannt sie.
Der Tastsinn wird angesprochen, sicher zu benennen ist nichts.
Bonvie inszenierte asketische Schwarzweißvarianten
der reduzierten Bildideen amerikanischer abstrakter Maler.
Das waagerecht unterteilte Bildfeld erscheint unendlich fortsetzbar.
Eine Komposition als Zusammenklang der Teile
mit dem Ganzen wird ebenso vermieden wie das übliche,
an den Ausblick durch ein Fenster erinnernde Fotografieformat.
Der 1947 geborene Kölner Künstler hat die Fotografie
bis an die Grenze vorgetrieben, wo sie konkreter Kunst zu ähneln
beginnt, doch noch Reste authentischer Abbildung bewahrt. Diese wurde
auf ein Minimum reduziert und bis zur Unkenntlichkeit vergrößert.
Der Betrachter wird in das Reich der eigenen Fantasien geschickt, die
am ehesten wappnen gegen die Imaginationen der Bildhersteller in digitaler
Technik. Inzwischen sind "Fotografien" nicht vorhandener Objekte möglich.
Die Erfindung der Lichtbilder löste die Debatte um Bild und Abbild
aus,die die Malereigeschichte dieses Jahrhunderts prägte. Die Entwicklung
digitaler Bildtechnik fügt ein unvorhergesehenes Nachspiel hinzu.
Die Rezeption von Fotografie wird sich nach Ansicht Bonvies in einigen
Jahren grundlegend verändert haben.
An der Schmalseite des Raumes hängt ein vom Fernseher abfotografiertes
farbiges Männerporträt, das durch digitale Bearbeitung weitgehend
in Flächen aufgelöst und dadurch unkenntlich gemacht wurde.
Diese Auflösung entspricht dem im Bildjournalismus verwandten Zensurbalken
über den Augen, der die Identität der fotografierten Person
verbirgt. Hier blickt das linke Auge, von den Bearbeitern offenbar vergessen,
als Restbestand des vom Medium versehrten Menschenbildes. Innerhalb der
schemenhaften Kontur des Kopfes bezeichnet dieses eine geöffnete
Auge einen Menschen. Der Betrachter begegnet sich selbst.
Abseits der zu
einer lnstallation gruppierten bis zu drei Meter breiten Formate hängte
Bonvie zwei Farbfotografien. Zu sehen ist je ein Gegenstandspaar auf gelbem
Grund. Die Assoziationen, von zart erotischer Art, führen in die
Irre. Auch die Benennungsversuche sind in der Regel falsch, obwohl Bonvie
eine lateinische Bezeichnung mitliefert. Weder handelt es sich um uralte
Versteinerungen noch um informelle Tonplastiken. Bonvie fotografierte
in der Nachfolge von Karl Bloßfeldt bei Tageslicht und möglichst
schattenfrei.
"Citreum MCMLXXXVI", Zitronen des Jahres 1986.
In diesem Jahr geschah der Unfall in Tschernobyl.
Gegenden Griechenlands, aus denen diese Früchte stammen wurden verseucht.
Das Foto fungiert hier als Dokument, doch die Identität des Abgebildeten
ist nicht herzustellen, da kein Menschenauge gleiches jemals erblickte.
Mit Ausnahme der
beiden Zitronenfotografien,
die in einer Auflage von je zwölf erschienen und je 2500 Mark kosten,
sind die Fotoarbeiten - wir bilden "Vorstellungsbild I" von 1992 ab -
Unikate zu Preisen zwischen 17000 und 19000 Mark. (Bis 30. Juli.) S.H.
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