Heinz Peter Schwerfel
Je ne verrai jamais rien pour
la premiere fois
Ist Rudolf Bonvie der Vampir unter den Fotokünstlern?
Jeder zärtliche Musenkuß ist für ihn ein lustvoller Biß
ins Wesentliche. Bonvie bedient sich, wo er kann, und das ist gut so.
Keine gesinnungsfaschistische Rechthaberei politischer Korrektheit, wie
sie derzeit in der Kunst gang und gebe ist, und auch keine belanglose
formalistische Postmoderne auf Kosten von Realitäten. Alles bei Bonvie
ist gebrochen, hat seine zwei Seiten, ist schrecklich und schön,
abschreckend und verführerisch, verdammenswert und unwiderstehlich.
Ja, die Fotos gibt es wirklich
Seit über zwanzig
Jahren schöpft Bonvie der Fotografie ihr Herzblut ab, bedient sich
in Tagespresse und Werbung, denunziert die sensationshungrige Reportage
und ironisiert das pseudodokumentarische Portrait, betreibt konzeptuelle
Feldforschung und lustvollen Voyeurismus.
Ein linkslastiger Geisteswissenschafter, der die Kunst mit schönen
Bildern beliefert, sich selbst und andere respektlos Vorher
und Nachher inszeniert und trotzdem in seiner Ernsthaftigkeit
immer themenschwer deutsch bleibt, auch wenn er ständig nach der
französischen Leichtigkeit schielt. Einer, der mit der Kamera zu
malen versteht, ohne die Wirklichkeit aus dem Sucher zu verlieren. Ein
Überblick über Bonvies Produktion von den Fotoromanen
1979 bis zu den Vorstellungsbildern 1993 wird zum Durchblick
durch die Gegenwartsfotografie und ihre Theoriegeschichte, von Walter
Benjamin bis Susan Sonntag.
Nur Dokumentarfotografie kommt bei Bonvie nicht vor.
Aber die gibt es ja ohnehin nicht. Nie werde ich etwas zum ersten
Mal sehen. (1) Unvergeßlich diese resignierte Traurigkeit
des den Dichter zitierenden Filmemachers ob der verlorenen Unschuld des
Blickes. Das Auge kann nicht mehr jungfräulich sein, alles haben
wir bereits gesehen und glauben es zu kennen, selbst wenn wir es nie erlebt
haben. Nichts erblicken wir mehr, sehen es zum ersten Mal, alles ist bestens
vertraut im Zeitalter photomechanischer Reproduzierbarkeit, simulierter
Inszenierung, virtueller Utopie.
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Wir sind
die Opfer unserer eigenen Einbildungskraft geworden, oder, präziser,
der Einbildungskraft der von uns erfundenen Photo- und Filmapparate.
La chasse photographique est ouverte hieß Anfang der achtziger
.Jahre ein Werkblock Rudolf Bonvies über den voyeuristischen Mißbrauch
apparatischer Bilder. Apparatisch nennt der Philosoph Vilém
Flusser jene Bilder, die uns bewußt und unbewußt die Techn ologie
des Reproduktions-Apparates aufzwingen, im technischen wie ästhetischen
Sinne (2).Zum Apparatischen der Bilder kommt das Mechanische der Rezeption.
Die am Strand von Cannes nackerte Starlets jagenden Pressefotografen wissen
durchaus, wann und mit welcher Belichtungszeit sie auf den Abzug
den Auslöser drücken müssen. Aber wissen sie auch,
daß ihr auslösender Zeigefinger längst Teil des Apparates
ist, wie auch das durch den Sucher stierende Auge, das immer nur das sucht,
was es schon kennt, und zwar von anderen apparatischen Bildern her? Kaum
einem dieser Bilderjäger käme es in den Sinn, anstelle einer Brust
eine Kniekehle abzulichten, genausowenig wie es längst unmöglich
geworden ist, das Auge zu schließen, den Apparat abzuschalten, selbst
wenn vor dem Objektiv ein lodernder Selbstmörder um Hilfe schreit.
Worauf ist die Fotojagd eröffnet? Auf das uns aufrüttelnde schreiende
Ereignis, sagen die Pressevoyeure. Auf das uns aufrüttelnde stille
Bild, das der schreienden Bilderflut entgegen-arbeitet, entgegnen die Künstler.
Beider Naivität ist die gleiche: Sie glauben, dem Apparat entkommen
und eigene Bilder machen zu können. Und doch produzieren sie nur neue
Clichés, wie im Französischen zu Recht ein Photo
genannt wird. Rudolf Bonvie aber ist nicht naiv, sondern pervers. Wie warnt
Baudrillard: Noch schneller als die Ozonschicht wird heute jene feine
Schicht der lronie zerstört, die uns vor der Strahlung der Dummheit
schützt. Aber umgekehrt verschwindet auch der feine Schutzfilm der
Dummheit, der unsere Haut vor den tödlichen Strahlen der Intelligenz
schützt. (3)
Die Perversion des ironischen Photokünstlers Bonvie liegt darin, sich
lustvoll bräunen lassen zu können, ohne |
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