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Gleichzeitigkeiten
Über drei Arbeiten von Rudolf Bonvie
Der medienkritische Ansatz im Werk von Rudolf Bonvie geht von der Frage aus, welche Funktion der Wahrnehmung im Zeitalter der Massenmedien zukommt. Auf die konsumierende Vereinnahmung der Welt in Bildern reagiert Bonvie in seiner Arbeit mit Strategien der Verweigerung, die zu einer kritischen Wahrnehmung herausfordern sollen.
In seinem Werk «Vergleich aller einspaltigen Fotografien, die eine Person abbilden« von 1977/78 (Abb. 372, S.453) zieht Bonvie unter Verwendung von Fotos aus dem Magazin »DER SPIEGEL« der Jahre 1957 und 1977 eine Art Bilanz bundesdeutscher Geschichte und Medienentwicklung. Die Dynamisierung der Porträtdarstellung, das sich verändernde Verhalten des Fotografierten vor der Kamera, der »Schnappschuß« bezeugen das immer schonungslosere Eingreifen der Medien in die Privatsphäre, das mit dem vermeintlichen Anspruch von Authentizität einhergeht. Durch den Vergleich von Fotos, die zwanzig Jahre auseinanderliegen, macht Bonvie Wahmehmungsurteile und -bedingungen bewußt. Das, was wir wahrnehmen, können wir nicht automatisch für wahr nehmen.
Immer ist unsere Wahrnehmung zeitgebunden und selektiv.
Die jeweils dreiteiligen Fotoarbeiten »Weimar« (Abb. 373, S.454) und »Mal« (Abb. 374, S.455) entziehen sich dem schnellen Konsumentenblick und fordern die Apperzeption des Betrachters heraus. In der Arbeit »Weimar« sind es die Inschriften »Salve« auf der Schwelle zum Goethe-Haus und »Jedem das Seine« an dem Eingangstor zum Konzentrationslager Buchenwald, welche die unmittelbare Nähe von Humanismus und menschenverachtendem Nationalsozialismus deutlich machen.
Ist das lateinische Grußwort von den Nationalsozialisten besetzt und mißbraucht worden, so stellt der von Friedrich l. aus der römischen Naturrechtslehre rezipierte Grundsatz des »suum cuique» in diesem Kontext geradezu eine Perversion dar.
Auf der Mitteltafel verweist eine schlichte Stele umgeben von Schottersteinen auf den ehemaligen Block 17 des Konzentrationslagers. In den vielgestaltigen Steinen erscheint die Geschichte des Ortes mit all seinen Einzelschicksalen lebendiger bewahrt, als in den begrifflichen Abstraktionen. Der Stein als Symbol gewordene Erinnerung gehört zum Begräbnisritual der Juden. So ist auf der Mitteltafel der Arbeit »Mal« der mit Erinnerungssteinen belegte Grabstein von Moses Mendelssohn (1729-1786) auf dem ältesten jüdi-schen Friedhof Berlins zu sehen.(2)
Das Grab erinnert an den bedeutenden Aufklärer, der als Jude sein Aufenthaltsrecht in der preußischen Hauptstadt erst durchsetzen mußte, um sich für die Emanzipation der Juden in Deutschland einsetzen zu können. (3) Teilweise an derselben Stelle der früheren Akzisemauer, an der entlang Mendelssohn Einlaß in die Stadt suchte, befand sich die von der DDR gebaute Mauer.(4) Zwei Jahre nach seinem Tod wurde 1788 das Brandenburger Tor errichtet, das seitdem wiederholt zum Schauplatz der wichtigen Ereignisse deutscher Geschichte und nach 40 Jahren Teilung zum Symbol der Wiedervereinigung geworden ist.
Im Entstehungsjahr der Arbeit »Mal« 1990 war es erstmalig für alle Deutschen wieder möglich, das Brandenburger Tor von beiden Seiten zu sehen.
Diese neue Perspektive hat Rudolf Bonvie kurz nach der Wende, als die Mauer noch stand, fotografiert. Der schmale horizontale Bildausschnitt von Westen nach Osten gibt den Blick über die Mauer frei auf zwei der Säulenschäfte mit dem darauf liegenden Architrav. In umgekehrter Blickrichtung sieht man durch die Säulen auf die mit Graffiti versehene Mauer. |
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Das Querformat begegnet schon in Bonvies Frühwerk als Verblendung von Porträts in Form schwarzer horizontaler Balken, wie sie auch die Presse benutzt, um die Anonymität von Personen zu wahren.(5)Während das Querformat der Mauer hier für Grenze und Trennung steht, signalisiert die Vertikale der Säule Öffnung und Freiheit. Die Arbeit kulminiert in der Aufsicht vom Grabmal Mendelssohns, die die dunkelbraune Mitteltafel wie ein heller Streifen vertikal in zwei annähernd gleiche Hälften als Sinnbild der Toleranz teilt.
Der Titel der Arbeit »Mal« umspannt ein Bedeutungsspektrum vom neutralen Kennzeichen oder Merkmal bis zur negativen Konnotation von Makel und Schandmal, aber auch von Erinnerungszeichen und Denkmal. Immer ist das Mal ein Zeichen, das einem ständigen Bedeutungswandel unterliegt, das vereinnahmt und
mißbraucht werden kann.
Rudolf Bonvie führt uns die Veränderung von Wahrnehmung und Wandelbarkeit von Bedeutung vor, wie sie auch in der neueren Denkmalsdebatte berücksichtigt wird. Insbesondere die Diskussion um ein Holocaust-Denkmal in Berlin offenbart das ganze Dilemma einer Nation, die um eine angemessene Form des Gedenkens an die Verbrechen des Staates ringt, in dessen Rechtsnachfolge sie steht.(6)
Die Spannweite der »memoria« reicht von der Erinnerung als dynamisch kreativem Prozeß bis hin zum Gedächtnis als statischem Aufbewahrungsort des Erinnerten. (7) Die Erinnerung zu aktivieren unternimmt Bonvie, indem er vergessene oder verdrängte Verbindungen wiederherstellt. Wie konnte es geschehen, daß in unmittelbarer Nähe des humanistischen Weimar das KZ Buchenwald errichtet wurde? Wie ist es möglich, daß an derselben Stelle, wo Mendelssohn einst eine Mauer überwunden hatte, rund zweihundert Jahre später eine neue errichtet wurde?
Dorothea Zwirner
1 Einen Zusammenhang zwischen den Arbeiten »Vergleich aller einspaltigen Fotografien, die eine Person abbilden« und »Mal« hat bereits S.D. Sauerbier in: Rudolf Bonvie, Ausst.-Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus Munchen 1991 hergestellt.
2 Zur Geschichte des 1943 zerstörten und inzwischen wieder hergerichteten Friedhofes siehe: Ulrich Eckhardt/Andreas Nachama, Jüdische Orte in Berlin. Mit Feuilletons von Heinz Knobloch und Fotografien von Elke Nord, Berlin 1996,S. 15.
3 Ihm hat Lessing in seinem »Nathan der Weise« ein literarisches Denkmal
religiöser Toleranz gesetzt.
4 Den imaginären Geschichtsweg des Moses Mendelssohn vom Hamburger Bahnhof zum Anhalter Bahnhof verfolgt Ulrich Eckhardt, Der Moses Mendelssohn Pfad, hrsg. von der Berliner Festspiele GmbH, Berlin 1987.
5 In seinen neueren Arbeiten greift Bonvie das Balken-Motiv wieder auf, das sich formal auch zu schwarzen Wandflächen verseibständigt.
6 Nachdem die Ausführung des preisgekrönten Entwurfs von Christine Jackob-Marks u.a. zu einem «Denkmal für die ermordeten Juden Europas« 1995 am Veto des Bundeskanzlers gescheitert ist, hat die Berliner Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten im Frühjahr 1997 ein Colloquium unter Beteiligung der drei
Auslober und 80 Experten durchgeführt.
7 In einem ähnlichen Spannungsfeld bewegt sich auch die heutige Denkmalsdebatte,
die einer statischen raum- und ortsgebundenen Lösung das dynamische Modell transitorischer, verschwindender oder interaktiver »Gegen-Denkmäler«
entgegensetzt. Vgl. James E. Young, Erinnerung, Gegenerinnerung und das Ende
des Gedenkmonuments im vorliegenden Katalogbuch. |
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